Ihre Schminke ist nicht wasserfest und so malt das Wasser aus ihren Augen schwarz-schleierne Linien auf ihre Wangen und stoppt an der weichen Kante des Kieferknochens, sammelt sich, bildet Tropfen und fällt auf ihren weißen Hemdkragen. Manche Wasserlinien gehen einen anderen Weg, folgen dem Lauf ihrer Wange, schmiegen sich dann entlang des Kieferknochens ihren Hals herunter und enden in der Mulde der Schlüsselbeine. Ihre Augen scheinen dadurch an den Rändern leicht zu verlaufen. Dort sind sie leicht gerötet, genau wie ihre Nasenspitze. Aus ihrer Nase läuft nun auch Flüssigkeit, dicker als ihre Tränen. Läuft über ihre Ober- und Unterlippe, an ihrem Kinn herunter und vermischt sich mit den anderen Wasserbahnen zu einem Wettrennen um den malerischsten Weg an ihrem Hals herunter. Ihre Wangen sind leicht gerötet, weil sie stoßartig aus- und einatmet, manchmal den Ausatem mit zusammengepressten Lippen zurückhält, welcher dann mit einem kleinen Schluchzer aus ihr herausbricht. Sie bebt. Ihre Schultern zucken hin und wieder unkontrolliert hoch, im Zusammenspiel mit ihrem Atem. Es gibt ein Muster dahinter, dass man nicht sofort erkennt.
Er hat es schon oft aufmerksam beobachtet, hat versucht es zu ergründen, um den Takt dieses Schauspiels zu verstehen. Sie ist so wunderschön, wenn sie weint. Er liebt ihren verwundeten, verletzlichen Blick aus ihren geröteten Augen, die so noch größer und unschuldiger sind. Er liebt die Zeichnungen, die ihre Tränen auf ihrem Gesicht hinterlassen und besonders, wenn sie wie jetzt mit Farbe versetzt sind und es noch faszinierender, unnachahmbarer ist, welchen Weg das Salzwasser einschlagen wird. Er verfolgt die Bahnen, die es zieht, mit Verwunderung, liebt wie sie in unvorhersehbarer Geschwungenheit ihr Gesicht nachmalen.
Er kann sie nicht absichtlich zum Weinen bringen, weil sie ihn dann verließe. So unterlässt er es einfach, zu verhindern, dass sie traurig wird, lässt den Dingen ihren Lauf. Immer, wenn sie weint und ihr wahrer Anmut zum Vorschein kommt, muss er sie anlächeln, still und voller Liebe. Dadurch beruhigt sie sich und der Moment ist fast zu schnell vorbei. Nur wenn ihre Schminke verläuft, kann man den Lauf ihrer Tränen noch bestaunen, wenn sie getrocknet sind. Aber es genügt ihm, ganz natürlich einen Blick auf ihre geheime Schönheit zu erhaschen. Sekunden, die nur ihm gehören. Seinem Gefühl nach, gibt es keine Person, die schöner traurig ist. Oder traurig schöner.
Jeder andere liebt ihr Lachen und den Schwung ihrer Haare, wenn sie fröhlich ihren wohlgeformten Körper bewegt und alle mit ihrer glücklichen Ausstrahlung berührt. Er mag das auch. Er liebt sie schließlich. Aber er weiß, dass er sie erschrecken würde, wenn er ihr erzählte, dass er ihr trauriges Gesicht ihrem fröhlichen vorzieht. Dass er wünscht, er könnte ihre wirkliche Schönheit malen, festhalten und öfter zu Gesicht bekommen. Aber so wartet er. Wartet auf Momente und Augenblicke. Lässt zu, dass sie verstreichen und weiß, dass sie wiederkommen.
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